Fotos: Dominique Brewing
Die Gesellschaft
Meterweise Akten mit der Aufschrift ,Spinner!‘. Darin werden im Archiv der Max-Planck-Gesellschaft nie realisierte Vorschläge von unabhängigen Projektemacher:innen seit 1900 gesammelt: ein europäischer Mütterrat, die Formeln zu Erlangung des stabilen Weltfriedens oder pädagogische Reformprojekte. Warum wurden diese Vorschläge abgelehnt? Welche Institute nie gegründet? Welche Forschung ausgeschlossen?
Herbordt/Mohren sichteten diese Akten und inszenierten auf dieser Grundlage eine neue Forschungsgesellschaft: generationen-übergreifend, partizipativ und engagiert. Mit internationalen Gästen aus den Künsten, der Wissenschaft, Zivilgesellschaft und der Nachbar:innenschaft. In immer wieder neuen Zusammenkünften entwerfen und realisieren alle Beteiligten auf welchem Wissen sich die Gesellschaft begründen könnte, wie dieses Wissen gespeichert, erweitert und erzählt werden kann, wer mitmacht und wie die Ressourcen geteilt werden.
Nach einer Serie von Online-Laboren unter Beteiligung von u.a. aus Berlin, Istanbul, Reykjavik, Salvador-Bahia und Zürich zugeschalteten Gesellschafter:innen präsentierte sich die neue Forschungsgesellschaft am Ende der Spielzeit 2020/2021 erstmals in einem großen Finale digital und im Theater Rampe in Stuttgart.
Seit 2022 ist ,Die Gesellschaft‘ Teil des Bestands-Katalogs im ersten Schaudepot für die Darstellenden Künste in Stuttgart. Hier kann ,Die Gesellschaft‘ zu individuellen Terminen und nach vorheriger Anmeldung besucht werden. Jede Aufführung findet mit neuen, immer wieder auch internationalen Gästen statt, die online oder live teilnehmen und deren Beiträge als Video dokumentiert, archiviert und in einer Videoinstallation nachhaltig zugänglich bleiben. Die Gäste sind dazu geladen, sich gemeinsam mit dem Publikum mit ihren Reflexionen und Wahrnehmungen unserer gegenwärtigen Gesellschaft und den hieraus für sie folgenden praktischen Konsequenzen zu beschäftigen. So entsteht in immer wieder anders zusammengesetzten Begegnungen eine neue Forschungsgesellschaft, die dauerhaft in Stuttgart aktiv und zugänglich bleibt.
Im Schaudepot kann ‚Die Gesellschaft‘ gleichzeitig von 1-8 Kindern und Erwachsenen besucht werden. Ein Besuch besteht aus einer Einführung in ‚Die Gesellschaft‘ als Performance und neue Forschungsgesellschaft mit Melanie Mohren und Bernhard Herbordt; einer Begegnung mit einer:einem Gesellschafter:in; dem Einblick in ein Video-Archiv aller bisherigen Begegnungen; der Möglichkeit selbst zur:zum Gesellschafter:in zu werden oder solche vorzuschlagen und einem Gesellschaftsspiel.
Nächste Termine, Anmeldung und Informationen zum Besuch
Presse
,Es beginnt: ,Die Gesellschaft‘, ein Stück aus zwei Teilen. Es gibt eine Kindergesellschaft mit der Kunstpädagogin Tina Pantisano und ein Programm für Erwachsene, das jetzt Melanie Mohren übernimmt. ,Die Gesellschaft‘, 2021 im Stuttgarter Theater Rampe umgesetzt, meint eine Forschungsgesellschaft, ausgehend vom sogenannten ,Spinnerarchiv‘ der Max-Planck-Gesellschaft. Dort werden seit 1900 Vorschläge und Ideen gesammelt, die für nicht realisierbar gehalten werden. Im Schaudepot werden die Besucher:innen aufgefordert, Vorschläge zu machen, welche Gesellschaften noch gegründet werden könnten. Auf dem Tisch vor ihnen liegt eine Liste der bereits als ,spinnert‘ archivierten: die Gesellschaft zur Erforschung einer Formel für einen stabilen Weltfrieden etwa. Warum nimmt diesen Vorschlag eigentlich niemand ernst?‘
Dietrich Heissenbüttel, KONTEXT:Wochenzeitung, 04.01.2023
,Menschen aus unterschiedlichen Lebensbereichen ins Theater zu holen, ist ein wichtiges Ziel. In dem Projekt ,Die Gesellschaft‘ etwa bringen Bernhard Herbordt und Melanie Mohren Menschen aus Kunst, Wissenschaft, Politik und anderen Welten zusammen. Dafür haben sie Akten des Max-Planck-Instituts gesichtet, die Projekte dokumentieren, die nie verwirklicht wurden. ,Spinner‘ ist auf manchen der vergilbten Deckel zu lesen. Ein europäischer Mütterrat gehört ebenso dazu wie Formeln zur Erlangung eines stabilen Weltfriedens. ,Das ist ein prozesshaftes Arbeiten, in dem es immer wieder Momente gibt, in denen die Öffentlichkeit einbezogen wird‘, beschreibt Grohmann den Ansatz. Eineinhalb Jahre arbeiteten die Künstler:innen für diese Produktion an der Rampe, der sie seit Langem verbunden sind. Sie entwickelten ihr Projekt im Austausch mit dem Publikum und mit internationalen Gesprächspartner:innen.‘
Theater der Zeit, Februar 2022
,TdZ: Immerhin ist in den Akten die Formel zu Erlangung des stabilen Weltfriedens zu finden!
Melanie Mohren: Ja, leider wurde die Gesellschaft, die dem nachgehen wollte, nicht gegründet. Aber damit landen wir wieder beim Theater: bei der Frage, was wäre gewesen, wenn. Wie würde unsere Gegenwart oder Zukunft aussehen, wenn diese Ideen, diese wunderbaren Entwürfe nicht abgelehnt worden wären? Spekulationen dieser Art finden wir extrem reizvoll. Gleichzeitig werden aber auch Ausschlüsse sichtbar. Wer wird abgelehnt? Und vor allem: Wer taucht als Antragsteller:in erst gar nicht auf? Hochaktuell, wenn wir uns in den heutigen Institutionen und Forschungseinrichtungen umschauen. Da stellt sich schon die Frage, warum in den vergangenen 120 Jahren so wenig passiert ist.‘
Theater der Zeit, Mai 2021
Credits
Von und mit: Jorge Alencar, Ebru Nihan Celkan, Xenia Dürr, Gunnhildur Einarsdóttir, Matthias Engler, Neto Machado, Viviana González Méndez, Paula Kohlmann, Tina Pantisano, Boglárka Pap.
Interventionen: Marcus Bergmann, NAF.
Künstlerische Leitung: Melanie Mohren und Bernhard Herbordt.
Bühne: Leonie Mohr und Hannes Hartmann.
Produktionsleitung: Andrea Oberfeld (ehrliche arbeit – freies Kulturbüro).
Recherche, Koordination: Silinee Damsa-Ard, Sandra Oehy.
Assistenz: Felix Falczyk.
Technische Leitung: Max Kirks.
Zoom-Leitung: Kati Trinkner.
Kamera: Amir Saadat.
Videodokumentation: Hagen Betzwieser.
Fotos: Dominique Brewing.
Grafische Gestaltung: Demian Bern.
Eine Produktion von Herbordt/Mohren (,Die Institution‘) in Koproduktion mit dem Theater Rampe Stuttgart, in Kooperation mit der Merz Akademie Stuttgart. Gefördert durch Konzeptionsförderungen des Kulturamtes der Stadt Stuttgart, des Fonds Darstellende Künste e.V. aus Mitteln des Bundes, des Landesverbandes Freier Tanz- und Theaterschaffender Baden-Württemberg aus Mitteln des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg.